KÖLNER KÖPFE Ruth Schulhof-Walter: Das ist deshalb auch wunderbar, weil die Menschen die jüdische Gemeinschaft in ihrer Stadt endlich besser kennenlernen können. Man sagt doch so schön: Was man kennt, das schlägt man nicht. Ob diese Annäherung nun über den Karneval passiert oder über die geplanten Begegnungsprojekte, Kulturangebote und Informationsveranstaltungen – das ist letztlich egal. Wie oft hören wir den Satz: Wir kennen keinen einzigen Juden persönlich. Dabei leben wir doch in ein und derselben Stadt! Dass eine Annäherung jetzt wieder möglich ist, macht mich sehr zufrieden. KLAAF: In der Tat bin auch ich heute zum ersten Mal hier in der Synagoge, deren Zugang ja durch stete Polizeipräsenz und die Einlasskontrolle für Bürgerinnen und Bürger erschwert wird. Aber mal davon abgesehen: Warum war denn eine Annäherung von jüdischer Community und Stadtgesellschaft bislang nur bedingt möglich, wie Sie sagen? Aaron Knappstein: Man darf nicht vergessen, dass die Jüdinnen und Juden der Stadt einen sehr großen Vertrauensvorschuss gegeben haben, indem sie 1945 zurückgekommen sind, um wieder eine Gemeinde zu gründen. Dennoch war die jüdische Gemeinschaft eher darauf bedacht, nicht aufzufallen. Das sitzt tief in uns drin. Ein Beispiel: Ich trage selten die Kippa (Kopfbedeckung), einfach, weil ich nicht so religiös bin, dass ich das tun müsste. Wenn ich aber an Jom Kippur (höchster jüdischer Feiertag) in die Synagoge gehe, trage ich sie. Mit Kippa verhalte ich mich anders. Ich würde beispielsweise nie über eine rote Ampel laufen, weil ich niemandem eine Angriffsfläche für antisemitische Äußerungen bieten möchte. Das ist ein sehr starkes Gefühl, das sich erst ganz langsam wandelt. Ruth Schulhof-Walter: Ja, ich sehe das ähnlich. Jeder von uns hat seine Traumata, das rührt von unseren Familiengeschichten her, da muss man sich nichts vormachen. Meine Eltern waren Shoa-Überlebende – ich hatte als Kind Auschwitz noch täglich am Mittagstisch. So war unsere Vorgängergeneration also noch viel zu ängstlich, um sich zu zeigen. Wir heute sind mutiger, obwohl wir um das Risiko wissen, aufzufallen. Zumal der Antisemitismus ja wieder auf dem Vormarsch ist in Deutschland. KLAAF: Sie spielen auf die jüngsten antisemitischen Ausfälle, unter anderem bei pro-palästinensischen Kundgebungen, an, die der Bundestag später scharf verurteilt hat. Von der „bösen Fratze des Antisemitismus“ war die Rede und von neuen erforderlichen Sicherheitskonzepten. Steht das diesem Mut im Wege, sichtbarer zu werden? Ruth Schulhof-Walter: Ja, diese Entwicklungen machen mir große Sorgen. Vor allem auch, weil nicht konsequent dagegen vorgegangen wird, wie der Anschlag auf die Synagoge in Wuppertal letztens wieder gezeigt hat. Natürlich kann es sein, dass viele von den 150.000 Jüdinnen und Juden in diesem Land daraus Konsequenzen ziehen und ihre Koffer packen. Wir haben – anders als 1933 – überall auf der Welt Familien, die uns aufnehmen würden. Und was passiert dann mit diesem Land? Welche Randgruppe trifft dann der Hass und die Ausgrenzung? Wenn wir jetzt nicht alle gemeinsam gegen diese feindliche Stimmung aufstehen, dann ist – unabhängig von Herkunft und Religion – die Freiheit eines ganzen Landes in Gefahr. So sehe ich das. Aaron Knappstein: Ein Beispiel: Die Gründung der „Kölschen Kippa Köpp“ wurde ja sehr wohlwollend begleitet und unterstützt durch Christoph Kuckelkorn als Präsident des Festkomitees Kölner Karneval. Viele haben uns herzlich als zurückgekommenes Mosaiksteinchen in die Karnevalsfamilie aufgenommen, was uns natürlich sehr freut. Allerdings erwarte ich dann natürlich, so habe ich es letztens auch mal in einem Vortrag formuliert, dass die Karnevalsfamilie und die Stadtgesellschaft auch hinter uns stehen, wenn uns jemand bedroht. Zum Glück sind wir bislang nie Opfer von Anfeindungen geworden – nicht mal auf unseren Social Media- Kanälen. „Wenn wir jetzt nicht alle gemeinsam gegen diese feindliche Stimmung aufstehen, dann ist die Freiheit eines ganzen Landes in Gefahr.“ KLAAF: Umso wichtiger die Aufklärungsarbeit, die Sie leisten. Wäre es denn denkbar, dass man jüdische Festtage gemeinsam feiert? So wie an vielen Schulen ja auch das muslimische Zuckerfest begangen wird oder eben christliche Weihnachtsfeiern stattfinden? 8 KLAAF KÖLNER KÖPFE
Ruth Schulhof-Walter: Warum nicht? Wichtig ist es, den Menschen die Schwellenangst zu nehmen und ihnen zu zeigen, dass wir gar nicht so anders sind. Und natürlich passiert das schon seit Jahren und nicht erst, seit wir dieses vielfältige Jubiläumsprogramm auf die Beine gestellt haben. Wenn wir beispielsweise als Synagogen-Gemeinde im Rahmen der Kooperation mit „Literatur in den Häusern der Stadt“ unsere Räumlichkeiten zur Verfügung stellen und den Gästen eine Führung vor der Veranstaltung anbieten, laden wir sie ein, uns kennenzulernen. An Sukkot (traditionelles Laubhüttenfest) werden wir diesen Herbst im öffentlichen Raum in vielen Städten große Laubhütten aufstellen und die Bürgerinnen und Bürger dorthin einladen. Kommen sie mit Essen oder Trinken oder kommen sie, um mit uns zu diskutieren – sie sind willkommen. Darauf freue ich mich schon. Aaron Knappstein: Ich glaube auch fest daran, dass eine Gesellschaft von Diversität in jeder Form unglaublich profitiert. Es sind ja nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Unterschiede, die das Zusammenleben so spannend machen. Warum also nicht gemeinsam Feste feiern, die bislang noch nicht allen bekannt waren. Oder warum nicht alle zusammen Karneval feiern, weil wir das eben kennen und lieben und wir – abseits der Religion und Tradition – eben auch alle Kölnerinnen und Kölner sind. KLAAF: Nach der pandemiebedingten Durststrecke hungern wir doch geradezu nach kulturellen Events und freuen uns auf einen regen Austausch mit unseren Mitmenschen. Ich jedenfalls bin durch unser Gespräch neugierig geworden. Können Sie schon sagen, was uns in der zweiten Jahreshälfte erwartet? Aaron Knappstein: Unsere Planungen gehen voran für die nächste Session – auch unabhängig und/oder unterstützend zum Jubiläumsprogramm. Wir von den „Kippa Köpp“ werden in jedem Fall wieder unsere zwei Veranstaltungen durchführen, also einmal „Falafel und Kölsch“ in der Synagoge in der Roonstraße und den Rheinischen Nachmittag im Wohlfahrtszentrum in der Ottostraße. Außerdem haben wir eine weitreichende Recherche gemacht und in den USA, in Israel und in Mexiko die Nachfahren der Mitglieder des ersten Karnevalsvereins von vor 1933 ausfindig gemacht, in dessen Tradition wir uns ja sehen. Diese Nachfahren kommen im Rahmen eines Begegnungsprogramms der Stadt im November hierher. Eine Enkelin hat sogar noch den Karnevalsorden ihres Großvaters aufgehoben, ohne genau zu wissen, was das genau ist. Da erwarten uns sehr viele schöne Momente, die wir gerne mit anderen teilen werden. Ruth Schulhof-Walter: Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir uns spätestens ab Herbst auf ein vielfältiges Programm rund um unser 1.700-Jahr-Jubiläum freuen können. Als Vorstand des Vereins war ich bei den drei Juryrunden dabei, bei denen wir uns durch hunderte Anträge mit Ideen gewälzt haben und natürlich darauf geachtet haben, dass die Veranstaltungen nicht nur in Hotspots wie Köln, München und Berlin stattfinden, sondern jedes Bundesland mit einbezogen wird. Die meisten Veranstaltungen finden aber tatsächlich in NRW statt. Das zeigt ja auch, dass unsere jahrelange Vorarbeit jetzt Früchte trägt und immer größere Kreise zieht. Sie sind herzlich eingeladen, teilzunehmen. KLAAF: Fein. Dann bedanke ich mich hiermit erst einmal für das Gespräch und freue mich auf ein Wiedersehen. Aaron Knappstein ist Mitglied der „StattGarde Colonia Ahoj e. V.“ und Präsident der ersten jüdischen Karnevalsgesellschaft in Köln nach dem Zweiten Weltkrieg. Die „Kölsche Kippa Köpp e. V. vun 2017“ stehen in der Tradition des Vereins „Kleiner Kölner Klub“, der ebenfalls drei K im Kürzel hatte und sich dann aufgrund der Machtübernahme der Nazis Anfang der 1930er-Jahre selbst auflöste. Knappstein ist Mitglied der jüdischen liberalen Gemeinde in Köln-Riehl und macht seit Jahren Führungen für das NS-Dokumentationszentrum. Mehr Informationen über den Verein „Kölsche Kippa Köpp e. V. vun 2017“ finden Sie auf Facebook oder unter www.kippakoepp.koeln Ruth Schulhof-Walter ist ehrenamtliches Vorstandsmitglied im neu gegründeten Verein „321–2021: 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e. V.“ und organisiert gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen von Köln aus das Jüdische Festjahr 2021, das in der ganzen Republik begangen wird. Sie ist seit vielen Jahren in der Synagogen-Gemeinde Köln aktiv, auch, um mit Führungen und Vorträgen eine Brücke zur Stadtgesellschaft zu bauen. Bis zum Sommer 2021 arbeitete sie hauptberuflich in der Verwaltung der Synagogen-Gemeinde. Aktuelle Informationen zu den Veranstaltungen rund um das Jubiläumsjahr finden Sie auf der Seite www.2021jlid.de Die „Akademie för uns kölsche Sproch“ hat 17 Veran staltungen zum Themenjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zusammengestellt, wie z. B. Führungen sowie interessante Rad- und Stolpersteintouren. Infos und Tickets unter www.urlaubinkoeln.de KÖLNER KÖPFE KLAAF 9
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