KÖLNER KÖPFE die Stadt zieht. Menschen picknicken dort, wo früher Schienen verliefen und die Hohenzollernbrücke wird von Fahrradfahrern genutzt – selbst die Bögen sind begrünt. Wie realistisch sind solche Visionen? Ute Symanski: Vorab: Ich finde es ungemein wichtig, dass man diese Bilder, wie sich eine andere Verkehrspolitik ganz konkret auf das Leben der Menschen auswirken könnte, auch mal zeigt. Die Idee von der Stadt als einem attraktiven Erholungs- und Wohnraum kann sich ja nur so in den Köpfen der Menschen verankern, wenn man ein Bild davon hat. So wird es plötzlich vorstellbar, weil man diese begrünte Stadt mit einem bestimmten Lebensgefühl verbindet. Die ganze Idee bekommt plötzlich einen großen Charme ... Paul Böhm: Leider dauern solche bewusstseinsverändern den, gesellschaftlichen Prozesse immer sehr lange. Politik ist eben zäh und die Lobbyisten reden – natürlich auch teilweise zurecht – immer ein großes Wort mit. Dabei weiß man ja eigentlich, dass die ganze Bahnstruktur um Köln herum aus der Kaiserzeit stammt, also über 150 Jahre alt ist. Als ich hörte, dass man dennoch 3,6 Milliarden für die Ertüchtigung des alten Hauptbahnhofs ausgeben will, war ich alarmiert: Man weiß ja schon jetzt, dass die Kapazitätsgrenzen beim Abschluss der Baumaßnahmen bereits überschritten sein wer den. Ich habe mich umgehend an die ersten Skizzen für eine Alternative gesetzt. Inzwischen geht unser Vorschlag noch viel weiter: Unser Konzept generiert bis zu 100 Hektar Flächen für Wohnen, Arbeiten, und Naherholung, die den Bürgern der Stadt und ihren Besuchern zurückgegeben wer den. Über kreuzungsfreie Radwege wird das Linksund Rechtsrheinische Köln miteinander verbunden. KLAAF: Trotz aller Widerstände lassen Sie sich ja offenbar nicht so leicht entmutigen. Durch Ihre mit 206.687 Unterschriften eingereichte Aktion „Aufbruch Fahrrad“, Frau Dr. Symanski, haben Sie nicht nur den bislang erfolgreichsten Volksentscheid in Nordrhein-Westfalen angezettelt, sondern auch ein umfassendes Fahrradgesetz auf den Weg gebracht ... Woher nehmen Sie beide den Mut und das Durchhaltevermögen, so etwas durchzuziehen? Ute Symanski: Von Mut würde ich da gar nicht sprechen. Ich sehe doch täglich, wie fatal die Menschen unter der aktuellen Stadtplanung und der daraus resultierenden Schadstoff-Belastung leiden – angefangen mit den vielen Asthmaerkrankten und Allergikern bis hin zu Kindern, bei denen bereits pränatal diverse Schädigungen festgestellt wurden. Dazu kommt, dass allerorts Begegnungsräume fehlen, die wir dringend benötigen. Wenn einem also eine Stadt am Herzen liegt und man selbst gut darin leben möchte, dann braucht man dazu keinen Mut. Dann liegt das alles auf der Hand, dass es so nicht bleiben kann. Wenn man so will, ist das eine Selbstbeauftragung, etwas zu ändern. Wenn ich mich hier nicht engagieren würde, müsste ich die Stadt verlassen. KLAAF: Klingt so, als bestünde da auch eine gewisse Hoff nung, etwas verändern zu können. Ute Symanski: Leider dauert es sehr lange, eine Lobby für solche strukturellen Veränderungen aufzubauen. Zeit, die wir eigentlich gar nicht haben. Wer die letzten – durch die Erderwärmung besonders heißen – Sommer in der Stadt erlebt hat, weiß das. Und das wird in den nächsten Jahren noch um einiges unerträglicher. Aber hoffen lässt einen das Erstarken der aktivistischen Szene, die vielen jungen Menschen, die sich bei Fridays for Future engagieren und die immer größere Community, die sich für diese wichtigen Themen stark macht. „Wir sind bereits auf einem guten Weg“, sagt Paul Böhm. Paul Böhm: Ich glaube, dass wir schon auf einem guten Weg sind. Die Sorge um den Klimawandel treibt viele um, dadurch hat sich auch in der Politik viel verändert. Ich kann nicht abschätzen, ob durch die Corona-Krise ein gesellschaftlicher und städtebaulicher Wandel beschleunigt oder eher gebremst wird. Aber was die Leute verstanden haben, ist, dass sie mit ihrem eigenen Verhalten einiges bewirken können. Natürlich werden die Menschen weiterhin das Flug- 8 KLAAF KÖLNER KÖPFE
KÖLNER KÖPFE Ute Symanski spricht von einer „Selbstbeauftragung, etwas zu ändern“ zeug als Transportmittel nutzen. Aber der Schienenverkehr wird eine immer wichtigere Rolle spielen. Womit wir wieder beim Thema wären, sich die Verkehrsführung einer Stadt unter neuen Gesichtspunkten zu betrachten ... KLAAF: Hat denn die Corona-Krise diesbezüglich auch etwas Positives bewirkt? Man konnte beobachten, dass die Menschen wieder vermehrt aufs Rad gestiegen sind. Das Konsumverhalten hat sich verändert. Und die Natur hat sich Teile der Stadt zurückerobert. Ute Symanski: Es war gut zu sehen, dass manche Maßnahmen plötzlich auch spontan umgesetzt werden konnten. Die Stadt Brüssel hat beispielsweise einfach mal so überall Tempo 20 verhängt und somit die Losung ausgegeben, dass die wichtigsten Verkehrsteilnehmer die Fußgänger sind. Köln hat diese Chance leider nicht genutzt. Dabei muss einem spätestens jetzt klar sein: Die Menschen brau chen mehr Raum. Die Stadt muss also neu aufgeteilt werden. Paul Böhm: Ja, das sehe ich genauso. Es ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um Politik und Stadtgesellschaft sowie die Bahnwirtschaft an einen Tisch zu rufen und die entscheidenden Fragen zu stellen. Wir würden es sehr gerne sehen, wenn unsere Vorgaben dann auch ernsthaft geprüft würden und wenn sich da Mehrheiten bilden würden, die vor Jahren noch undenkbar gewesen wären. Wir Architekten können ja diese Angebote nur machen. Mit Leben füllen müssen die Menschen sie schon selbst. KLAAF: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Mit täglich mehr als 280.000 Reisenden und nur elf Gleisen stößt der 1859 eingeweihte mitten in der dichten Innenstadt angesiedelte Kölner Hauptbahnhof schon lange an seine Kapazitätsgrenzen. In einer zunächst freien Konzeptidee traut sich nun der Architekt Paul Böhm die Stadtplanung ganz neu zu denken. Seine Idee: Den Bahnhof nach Kalk zu verlegen und die dann obsolete Schienenführung zur grünen High Line für Fußgänger und Fahrradfahrer umzugestalten. „Wir werden in Zukunft viele Unterstützer brauchen, um mit dieser Idee gehört zu werden“, sagt der 61jährige, der sich unter anderem als Architekt der Kölner Moschee einen Namen gemacht hat. Der Film „Die Böhms – Architektur einer Familie“ des Filmemachers Maurizius Staerkle Drux läuft zur Zeit noch in der Mediathek des WDR. www.boehmarchitektur.de Immer mehr Menschen fahren heutzutage – gerade in Großstädten wie Köln – mit dem Rad. Und obwohl die Fortbewegung auf zwei Rädern nachweislich gesünder für die Menschen ist, sowieso umweltschonender und man im Stadtverkehr teilweise sogar schneller vorankommt, setzen Stadtplaner tra di tionell nach wie vor auf den Ausbau des Autoverkehrs. Verschwendetes Geld, findet die Soziologin Dr. Ute Symanski, die 2016 mit Mitstreiter*innen den Verein RADKOMM grün dete und seither versucht, mit öffentlichkeitswirksamen Aktio nen und einem jährlichen Mobilitätskongress neue Dis kurse in der Stadtgesellschaft zu etablieren. Als Kommunal politikerin plädiert sie zudem für eine gerechtere Aufteilung der Straßenflächen mit mehr Platz für Rad- und Fußverkehr und für eine Verkehrspolitik, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. www.radkomm.de KÖLNER KÖPFE KLAAF 9
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