KÖLNER KÖPFE schon wieder anders aus. Wichtig ist doch, dass man sich treu bleibt. Bei mir ist das eben die kölsche Sprache. Und die kann so viel mehr als nur Karneval. Das mit meiner Musik zu beweisen – Erfolg hin oder her – ist zu meiner Mission geworden. KLAAF: Sozusagen als Gegenthese zu dem Trend, dass sogar im Karneval immer mehr Hochdeutsch gesungen wird, spielst du weiterhin nur op kölsch. Seht ihr das beide kritisch, wo ihr ja hier lebt? Martin Bechler: Es ist ja nun mal kein Geheimnis, dass der Trend rapide dahin geht, dass unser geliebtes Köln (und das meine ich ohne jegliche Ironie) zu Karneval immer mehr von Komatouristen überschwemmt wird, die sonst auf der Schinkenstraße abhängen. Solltet ihr das lesen: Haut ab, keiner hat hier Bock auf euch! Ich hatte als Immi von Anfang an das Glück, dass mir die richtigen Leute die richtigen Plätze gezeigt haben, an denen man ohne den Wix der ortsansässigen Geschäftemacher, die maßgeblich für diesen Trend verantwortlich sind, dieses verrückte „kölsche Ding“ abfeiern kann. Die Entwicklung der begleitenden Musik ist an (zu) vielen Stellen besorgniserregend. ärmlich, unbequem. Wir haben aus einem Impuls heraus angefangen, dass man diese Lieder unbedingt mal anpacken sollte – ohne daran zu denken, dass sie zwingend jedem gefallen müssen oder möglichst schnell maximal viel Umsatz generieren. Dass sich jetzt offenbar doch 'ne Menge Leute haben finden lassen, die das Zeug gut finden, befriedigt letztlich dasselbe Gefühl, das du beschreibst, F. M.: Es ist nämlich in der Tat ganz wunderbar, wenn du dein Zeug im Gloria fiedelst und plötzlich legen die den Kopf in den Nacken und düdeln mit. KLAAF: Erfolg erzeugt ja auch immer eine gewisse Erwartungshaltung. Welche Rolle spielt diese, wenn man eine neue CD am Start hat oder immer wieder ein neues Programm auf die Bühne bringt? Kann man sich von diesem Druck frei machen? Martin Bechler: Ganz ehrlich? Ich scheiss’ auf Erwartungshaltung. Mir ist die Arbeit an diesen Albums sehr leicht gefallen, weil mir im Laufe das letzten Jahres klar wurde, dass wir unser Publikum gefunden haben. Nach endlos vielen Konzerten Zwo-achzehn wussten wir: Das ist hier nicht für die Tonne. So was erzeugt bei mir keinen Druck, sondern Laune hoch zehn. Franz Martin Willizil: Das kann ich auch aus eigener Erfahrung sagen, dass es gut ist, wenn man sich von diesem Druck befreit. Eigentlich ist das jedem Künstler klar, aber wenn das Einkommen davon abhängt, sieht die Sache oft Franz Martin Willizil: Wir sitzen ja hier um die Ecke vom Lapidarium, das vor kurzem geschlossen hat und wo einst die erste Loss mer singe-Veranstaltung stattfand. In solchen Kneipen, die es immer weniger gibt, wird eben das hochgehalten und gepflegt, was für mich Sinn macht, es zu erhalten: Die Veedelskultur. Somit spricht mir das nächste Sessions- Motto „Et Hätz schleiht im Veedel“ aus dem Herzen. Im Gegenzug dazu geht es bei vielen großen Karnevalssitzungen zum großen Teil nur noch um Kommerz. Ich bin da eher ein Verfechter des ruhigeren Karnevals, das gebe ich gerne zu. Und spreche Kölsch übrigens auch ganzjährig, nicht nur in der Session. KLAAF: Ob auf Hochdeutsch oder Kölsch – eure deutschsprachigen Texte geben den Menschen Halt. Die Songs sprechen offenbar vielen direkt aus dem Herzen. Kann – jenseits von Städten, Ländern, Kulturen – Sprache auch ein Zuhause sein? Franz Martin Willizil: Das glaube ich in jedem Fall. Ich bin ja zweisprachig aufgewachsen, da meine Eltern aus dem Sudetenland stammen und – damals noch über Berlin – ins Rheinland geflohen sind. Die konnten also gar kein Kölsch und so habe ich meine Sprache auf der Straße gelernt. Mit vielen Schulkameraden habe ich immer noch Kontakt, die im kölschen Brauchtum verhaftet sind. Vielleicht, weil ich immer schon sehr froh über meine Wurzeln war, bedeutet mir Kölsch unfassbar viel. Und deshalb schreibe ich auch auf op kölsch, weil ich mich darin am besten ausdrücken kann. 8 KLAAF KÖLNER KÖPFE
KÖLNER KÖPFE Martin Bechler: Määtes, deine Zeilen in dem Lied „Kumm loss mer fiere“ Denn die Trone, die do laachs, muß de net kriesche“ treiben mir jedes Mal „et Pippi in die . . .“ weißt schon . . . Ich kenne keine Passage der Popliteratur, die die Notwendigkeit und Berechtigung von Unterhaltungsmusik besser auf den Punkt bringt. Respekt. Franz Martin Willizil: Das freut mich. Wisst ihr, wie dieses Lied entstanden ist? Damals wohnte ich in der Eifel und bin nach den Konzerten immer – das Radio laut aufgedreht – die A 1 nach Hause gefahren. Es war der 17. 1. 1991, das werde ich nie vergessen, da kam die Meldung, dass im Irak Krieg ausgebrochen und Bagdad bombadiert worden ist. Und prompt fragten uns die Leute am nächsten Abend vorwurfsvoll, wie man angesichts einer solchen Meldung überhaupt noch Stimmungsmusik machen könne. Dann denkst du darüber nach, was du darauf antworten kannst. Und dieses Lied „Kumm loss mer fiere“ war dann unsere Antwort. Auf Hochdeutsch hätte ich das nie so ausdrücken können. KLAAF: Wie gelingt es in Zeiten, die vor allem auf Charts und Bestseller ausgerichtet sind, dass man sich eine gewisse künstlerische Unabhängigkeit bewahrt? Wie sieht diese Freiheit aus in einer Branche, in der jeder jeden Tag ums Überleben kämpft? Franz Martin Willizil: Idealerweise gelingt ja beides. Dass man nämlich gut ist in dem, was man macht und dazu auch noch Erfolg damit hat. Aber sobald man das Gefühl hat, dass man sich von der eigentlichen Sache zu sehr entfernt hat, muss man Konsequenzen ziehen. Dann muss man eben auch mal einen Schlussstrich ziehen. Dass etwas Neues, Gutes ent - stehen kann. Martin Bechler: Kann ich nachvollziehen. Wobei nicht vorhandener Erfolg für mich kein Grund wäre, irgendetwas zu ändern. Ich hab das hier am Anfang vor dreizehn Leuten im Odonien im Nieselregen gespielt. War auch ok. Das Zauberwort heißt Unabhängigkeit. Wir spielen unser Zeug und wem es gefällt, kommt zum Konzert. Ende der Geschichte. verstößt, dann zieh ich mich halt auch erst gar nicht erst richtig an und bin im Pyjama auf die Bühne. Dabei ist es dann geblieben. Franz Martin Willizil: So ein Markenzeichen ist ja sowieso was Feines. Ich trage schon so viele Jahre meinen Hut, dass ich inzwischen unter dem Namen „Dä Hoot“ bekannt bin. Mein Kollege Peter Horn ist als Clown geschminkt, um die Narrenfreiheit zu feiern und zu zeigen, dass man in der Kunst mehr darf als im normalen Leben. KLAAF: „Ich glaube an alles, was sich irgendwie bewegt“, heißt es in einem deiner Lieder, Martin. Mir scheint, Still - stand ist für euch beide nichts? Martin Bechler: Stillstand ist Rückschritt. Da ich keine Lust habe, den ganzen Tag eine Rauhfasertapete anzustarren, habe ich mich für Bewegung entschieden. Ich habe in meinem Leben schon immer das gemacht, was ich in dem Moment für richtig hielt, war immer ein unbelehrbares Arbeitstier und jetzt war dann halt mal DAS hier dran. Franz Martin Willizil: Ich bin ja schon ein bisschen älter, sehe das aber ganz genauso. Unser Keyboarder bringt da mit seiner Jugendlichkeit immer eine gewisse Bewegung in die Band – er ist gerade mal halb so alt wie ich. Und wenn nächstes Jahr der Peter Horn aufhört, fängt dann meine Tochter in der Band an, sie ist auch erst 33 Jahre alt und hat richtig Lust darauf, was Neues auszuprobieren. So bleibt man immer in Bewegung und entwickelt sich enorm weiter. So entsteht viel Neues. KLAAF: Worauf wir uns schon freuen! Ganz herzlichen Dank fürs Gespräch! KLAAF: Und dennoch wollt auch ihr unterhalten. Warum sonst der Schlafanzug, die Bärentatzen und die Federboa? Warum sonst diese kunstvoll gemachten Musikvideos? Martin Bechler: Das erste große Konzert, das wir mit dem Trio Fortuna Ehrenfeld gespielt haben, war zum Geburtstag unseres Labels in Hamburg vor dem Großmarkt und dann gleich mal vor 12.000 Leuten. Und weil wir dort die Newcomer waren, war unser Auftritt auf halb drei Uhr nachmittags terminiert. Ich habe dann gesagt: Wenn ich schon zu Zeiten auf die Bühne muss, die gegen jede Form der Menschenwürde KÖLNER KÖPFE KLAAF 9
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