KÖLN ENTDECKTFrancesco Petrarcaschrieb am 9. August 1333 von Lyon ausan seinen Freund Kardinal Giovanni Colonna:„Nachdem ich Aachen verlassen hatte ..., nahm michAgrippina Colonia auf, das am linken Rheinufer liegt. DieserOrt ist durch seine Lage, durch seinen Strom und durchseine Bevölkerung berühmt. Man ist erstaunt, in diesemBarbarenland eine derartig feine städtische Bildung anzutreffen.Welch ein Stadtbild, welche Würde bei den Männern,welche Anmut bei den Frauen! Es war gerade Johannisabend,als ich dort ankam, und die Sonne ging soebenunter. Sogleich ließ ich mich auf Anraten von Freunden ...von meinem Gastgeber an den Fluss geleiten: Mir stündeein herrliches Schauspiel bevor. Und ich sollte nicht enttäuschtwerden! Das ganze Ufer war nämlich von einerwunderschönen riesigen Prozession von Frauen eingenommen.Wie war ich erstaunt! Gute Götter, welch eineSchönheit! Welch ein Anstand! Hier müsste sich jeder verliebenkönnen, dessen Herz noch frei ist ...Verwundert und dieses Brauchtums unerfahren, redeteich einen aus meiner zahlreichen Umgebung mit dem bekanntenVers des Vergil an: ‚Was soll dieses Menschengewimmelam Fluss, was haben sie im Sinn?‘ Ich erhieltzur Antwort: Es sei ein uralter Volksglaube, an dem vorallem die Frauen hingen, dass alles Unheil des kommendenJahres durch ein Bad im Fluss an diesem Tage weggespültwerde; danach werde dann alles glücklicher vonstattengehen.Deshalb werde dieser Reinigungsritus jedesJahr immer wieder mit derselben Begeisterung vollzogen.Lächelnd erwiderte ich darauf: ‚Oh, Ihr glücklichen Rheinländer,deren Kummer der Rhein wegspült! Unsere Sorgenhaben weder der Po noch der Tiber je wegwaschen können.Ihr schickt Eure Übel nach England, und der Rheinträgt sie Euch dorthin. Wir würden die unseren gerne denAfrikanern und den Illyriern schicken; aber unsere Flüssesind, wie ich leider einsehen muss, zu träge dazu.‘ Wirlachten und scherzten gemeinsam und gingen erst spätvon dort weg.Unter Führung dieser Freunde bin ich an den folgendenTagen mehrmals vom frühen Morgen bis zum Abenddurch die Stadt gebummelt: Eine höchst erfreuliche Beschäftigung,weniger noch um dessentwillen, was ich vorAugen hatte, als vor allem um der Erinnerung an unsereDer Dichter Petrarca in jungen Jahren12 KLAAF KÖLN ENTDECKT
KÖLN ENTDECKTSulpiz Boisserée: Ansichten, Risse undeinzelne Theile des Doms von KölnMeisterhafte Bauwerke und andere bemerkenswerte Sehenswürdigkeitenzogen Gäste aus aller Welt an. Ihre besondereBedeutung erhielt die Stadt aber durch die kaumzu überblickende Zahl von Reliquien sowie die prachtvollenKirchen und Klöster, die Anziehungspunkt für zahllose Pilgerwaren. Natürlich waren die Kölnerinnen und Kölner selbstaußerordentlich stolz auf ihre Heimat. Sie verstiegen sichsogar zu der Aussage: „Wer Köln nicht sah, hat Deutschlandnicht gesehen!“Vorfahren willen, die so weit von ihrer Heimat entferntso herrliche Denkmäler römischer Tüchtigkeit hinterlassenhaben. Vor allem begegnete ich auf Schritt und Trittdem Marcus Agrippa, dem Gründer dieser Colonie; mager auch zu Hause und draußen viele herrliche Bauwerkeerrichtet haben, so hat er dennoch vor allen diese Coloniefür würdig gehalten, seinen Namen zu führen ...Ich habe eng beieinander die Reliquien von vielen Tausendheiligen Jungfrauen gesehen, ein Stück Erde, geweihtvon ehrwürdigen Reliquien, das unedle Leichengar nicht zulässt. Ich habe das Capitol gesehen, ein Abbilddes unseren ... Ich habe den Dom gesehen inmittender Stadt, ein herrliches Bauwerk, wenn es auch nochnicht vollendet ist; nicht zu Unrecht nennen die Kölneres das höchste.“Nicht sonderlich gefallen hätte diesen stolzen Kölnerinnenund Kölnern sicher die Verwechslung, der Petrarca erlegenist: Er hält Marcus Agrippa, den Freund und Feldherrndes Augustus sowie Großvater der jüngeren Agrippina, fürden Namenspatron ihrer Stadt, nicht dessen berühmt-berüchtigteEnkelin. Auch dürften die meisten römischen Bauwerkein Colonia Agrippina, die der italienische Dichter sowortreich und schwärmerisch bewundert, erst nach 50 n.Chr. entstanden sein.Natürlich hat er auch den Dom besichtigt, der schon damalsals das Wahrzeichen der Stadt galt, obwohl er nochnicht vollendet war. Außerdem besuchte er den Ursulafriedhof,auf dem nur Jungfrauen bestattet werden durften. DieLegende der Stadtpatronin dürfte viele Wallfahrer und andereGäste beeindruckt und angezogen haben.(Ausgewählte Quellen zur Kölner Stadtgeschichte II, hrsg.v. R. Frohn u. A. Güttsches, J. P. Bachem Verlag, Köln 1958,S. 54ff)Petrarcas Brief schildert mehr als nur Reiseeindrücke.Sein wortgewaltiger Überschwang und helle Begeisterungfür Colonia Agrippina sowie seine abfällige Bezeichnung„Barbarenland“ für das übrige Deutschland lassen den Leserahnen, wie es in den anderen Städten ausgesehen habenmuss. Zeitgenössische Autoren bestätigen diesen Eindruck.Gerade Francesco Petrarca jedoch konnte sich ein Bild vomZustand Europas, seiner Städte und seiner Kultur machen.Denn er war lange Jahre als Gesandter in politischen Missionenunterwegs. Dies mag manch einen in Erstaunen versetzen.Bekannt geworden ist er nämlich als Dichter, ja, ergilt als der beste Poet Italiens nach Dante.Ein Besuch der Stadt Köln gehörte für einen Deutschland-Reisendender damaligen Zeit zum Pflichtprogramm.Denn Colonia Agrippina war mit 50 000 Einwohnern diegrößte und bedeutendste Stadt Deutschlands im Mittelalter.Marcus Vipsanius Agrippa, denPetrarca für den Gründer Kölns hältDen heutigen Leserinnen und Leser wird wohl eherPetrarcas Schilderung von den Ereignissen am Johannisabendfaszinieren. Die Vorstellung, im Rhein baden undseine Sorgen und Nöte wegspülen zu können, hat etwasVerlockendes!Ingeborg Nitt© Carole Raddato from FRANKFURT, Germany, Marcus Vispanius Agrippa,Altes Museum Berlin (13512050465), CC BY-SA 2.0KÖLN ENTDECKTKLAAF13
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