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KLAAF 02/20

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Interview: Ein Gespräch mit Prof. Werner Eck und Jonas Rothe über erlebbare Stadtgeschichte Serie: Gedenktafeln in Köln Klaaf em Mediapark Kölner Abend Veranstaltungskalender Kölsche Köch: Traditionelle Rezepte und Geschichten

KÖLNER KÖPFE KÖLNER

KÖLNER KÖPFE KÖLNER KÖPFE Stadt änderte sich dann ja erst durch die Preußen, obwohl das viele Kölner ja nicht hören wollen. Prof. Werner Eck: Die Preußen haben hier viel modernisiert, natürlich. Nur städtebaulich ist da erst mal fast nichts passiert oder besser gesagt: Es konnte nicht viel passieren. Die Preußen haben mehr als 65 Jahre gebraucht, bis sie zugestimmt haben, dass die Stadtmauer geschleift werden durfte. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Stadt hermetisch abgeriegelt und von der Außenwelt abgeschlossen – außen herum lagen überall nur militärische Anlagen. Erst, als man merkte, dass eine solche Festung im Krieg nichts mehr nützte, wohl aber einer modernen verkehrstechnischen Entwicklung entgegenstand, hat man sich entschieden, die Stadt zu öffnen. Konsequent vollzogen wurde das sogar erst nach dem Ersten Weltkrieg. Das Stadtbild von damals, da gebe ich Ihnen Recht, kann sich heute kaum noch einer vorstellen. Dafür wurde im Zweiten Weltkrieg zu viel zerstört. KLAAF: Ein großes Team hat sich deshalb ja im Vorfeld bemüht, die historischen Ansichten aller Häuser und Gebäude entlang der virtuellen Straßenbahn-Fahrt anhand alter Aufnahmen zu rekonstruieren. Danach folgte ein aufwendiger Prozess, in dem diese Szenerie dreidimensional als Software umgesetzt wurde. Wie sind Sie überhaupt auf die VR-Technik aufmerksam geworden, die Sie für TimeRide nutzen? Groß Sankt Martin — die romanische Kirche ist auf den Grundmauern eines römischen Speichers gebaut. Jonas Rothe: Es muss so um 2014 gewesen sein, als ich zum ersten Mal den Prototyp einer VR-Brille aufsetzte. In dem Moment habe ich sofort gewusst, dass meine Vision einer völlig neuartigen Stadtwahrnehmung, wie ich sie bereits in meiner Masterarbeit beschrieben hatte, nun endlich in die Tat umgesetzt werden kann. Die Neugier, sich in eine andere Zeit zu beamen – mit der ja auch Filme wie „Zurück in die Zukunft“ spielen – hat mich schon immer fasziniert. Jetzt war das technisch plötzlich annähernd möglich. Der Weg hin zur Umsetzung – und natürlich auch zu einer Finanzierung – war dann natürlich noch recht aufregend und teilweise auch steinig. KLAAF: Steckt dahinter nicht auch eine ganz neue Art der Geschichtsvermittlung? Im Gegensatz zum verschulten Geschichtsunterricht, in dem man — jedenfalls oft — ja eher Fakten und Perioden auswendig lernt, wird hier den Menschen auf eine eher vermittelnde, unterhaltsame Weise eine längst vergangene Welt ganz neu erschlossen . . . Prof. Werner Eck: Ich würde noch nicht mal sagen, dass das Lernen von Fakten und die Verbildlichung von Geschichte ein Gegensatz darstellt. Das gehört doch beides irgendwo auch zusammen – gerade heute, wo die Menschen eher visuell lernen und auf Bilder angewiesen sind. Problematisch fände ich es natürlich, wenn die Bilder nicht in einen Kontext gestellt werden oder man die historischen Fakten extrem verfälscht, so wie das in Historienfilmen leider oft passiert – tolle Bilder in einem völlig falschen Zusammenhang. Aber wenn das stimmig ist, ist das doch toll! Jonas Rothe: Was das Thema der Wissensvermittlung anbelangt, kristallisieren sich meiner Meinung nach tatsächlich zwei Methoden heraus. Denn neben der rezeptiven Aufnahme von Fakten, die man sich aneignen muss, gibt es ja noch eine emotionale Art zu lernen. Inzwischen ist es wissenschaftlich erwiesen, je emotionaler man etwas wahrnimmt, desto besser kann man sich das merken. Das heißt für das TimeRide-Konzept, dass wir ein möglichst breites Sinneserlebnis herstellen. Wir arbeiten mit Haptik, mit Geräuschen und – in München – spielen wir mit der Simulation, als würde man fliegen. Als nächstes wollen wir Gerüche integrieren, vielleicht der emotionalste Sinn des Menschen. KLAAF: Was folgt denn im Idealfall, wenn sich die Menschen — ob jung oder alt — wieder mehr mit ihrer Geschichte und deren Auswirkungen beschäftigen wür den? Verbinden Sie da auch einen gewissen Bildungsauftrag mit Ihrer jeweiligen Arbeit? Jonas Rothe: Als Unternehmer habe ich da zunächst keinen Bildungsauftrag. Ich möchte einfach diese kindliche Neugier der Menschen nutzen und durch das Medium der Zeitreise Interesse für Geschichte wecken. Ich persönlich aber finde es unglaublich wichtig, dass wir nicht aufhören, uns miteinander darüber auszutauschen, was Geschichte für unsere heutige Gesellschaft bedeutet und wie sie uns beeinflusst. Prof. Werner Eck: Ich will sehr betonen, wie wichtig es ist zu verstehen, dass der jetzige Zustand kein absoluter ist. Und schon gar kein Idealzustand, den wir für immer bewahren müssen. Es gibt immer Entwicklungen mit einem Auf und Nieder, das lernt man aus der Geschichte. Man hat ja am Beispiel der DDR gesehen, wie schnell ein System zusammenbrechen kann, obwohl man bis zum Schluss – wie im Sozialismus üblich – an einem idealen Endzustand festgehalten hat. Geschichte aber hat immer mit Beweglichkeit und Veränderung zu tun, die auch nicht von jedem Menschen als gleich gut oder schlecht empfunden wird. Ein Faktum, das manche Politiker in ihren Entscheidungen leider außer Acht lassen. Jonas Rothe: Im Grunde kann ich das nur unterstreichen. Man muss als Gesellschaft beweglich bleiben. Denn wenn man stehen bleibt, ist das der geistige Tod. Daraus folgt aber auch, dass nicht alles bis ins Letzte verteidigt werden muss. Das kann man – denke ich – aus der Geschichte lernen. KLAAF: Vielen Dank für das Gespräch. Werner Eck, Jahrgang 1939, gilt als international renommierter Experte für die römische Kaiserzeit und für lateinischgriechische Inschriften. Unter anderem mit dem Max-Planck- Forschungspreis ausgezeichnet, reicht sein Wirkungskreis von Israel, Italien und Spanien bis hin nach England und Finnland. Verwurzelt ist der gebürtige Nürnberger aber in Köln, wo er von 1979 bis zu seiner Emeritierung 2007 als Professor lehrte und forschte. 2007 übernahm er die Herausgeberschaft der bislang 13-bändigen Kölner Stadtgeschichte. Jonas Rothe, 33, ist in Dresden geboren und war bis zum Abitur Mitglied im Dresdner Kreuzchor, dann studierte er Kulturmanagement an der Musikhochschule in München. Bis heute unterstützt von seinem damaligen Professor, arbeitete er zunächst als Mitarbeiter in einer Beratungsfirma für Kulturund Entertainment-Organisationen und gründete schließlich 2016 – u. a. finanziert von der Stadtsparkasse München – das Start-up TimeRide, das es inzwischen in Köln, Dresden, Berlin und München gibt. Jonas Rothe und sein Unternehmen wurden dafür 2018 mit dem Deutschen Tourismuspreis, dem Bayerischen Gründerpreis sowie auch dem Münchener Gründerpreis ausgezeichnet. 8 KLAAF KÖLNER KÖPFE KÖLNER KÖPFE KLAAF 9

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